1982: Der Nichtangriffspakt von Gijón
Wann und wo?
Für viele heißt das, worüber heute berichtet wird, auch "Schande von Gijón". Gemeint ist das Fußballspiel zwischen der deutschen und der österreichischen Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1982 in Spanien, das am 25. Juni 1982 in Gijón stattfand. Die deutsche Mannschaft gewann dieses letzte Spiel der Vorrunde mit 1:0. Im Vorfeld war viel über die "Rache für Cordoba" spekuliert worden, denn vier Jahre zuvor bei der WM in Argentinien hatte ein Tor von Hans Krankl den 3:2-Erfolg von Österreich in der Zwischenrunde und damit das Ausscheiden des Weltmeisters von 1974 besiegelt. p>
Ein Tor mit Folgen
Berühmt wurde die Partie in Gijón, da die frühe deutsche Führung durch Horst Hrubesch in der 11. Spielminuten genau das Ergebnis brachte, das beiden Mannschaften das Weiterkommen in die nächste Runde erlaubte - das 1:0 bewirkte also nicht ein energisches Anrennen der Österreicher, die auf den Ausgleichstreffer aus waren - oder aber der deutschen Mannschaft, diesen Vorsprung zu erhöhen. Um das zu verstehen, muss man sich die Ausgangslage vor dem Spiel verdeutlichen.
Die Ausgangslage
Europameister Deutschland hatte in seinem ersten Spiel mit 1:2 gegen Algerien verloren, dann 4:1 gegen Chile gewonnen. Österreich gewann seine beiden ersten Spiele, hatte das Weiterkommen aber noch nicht gesichert. Das vorletzte Gruppenspiel zwischen Chile und Algerien war bereits mit 3:2 für Algerien beendet. Vor Spielbeginn stellte sich damit der Tabellenstand nach der damals angewandten Zwei-Punkte-Regel wie folgt dar:
Spiele Tore Punkte
1. Österreich 2 3 : 0 4 : 0
2. Algerien 3 5 : 5 4 : 2
3. Deutschland 2 5 : 3 2 : 2
4. Chile 3 3 : 8 0 : 6
Die Tabelle ordnete man damals zuerst nach Punkten, dann nach Tordifferenz und dann nach der Anzahl der erzielten Tore. Die beiden Erstplatzierten kamen in die nächste Runde. Deutschland musste in der Neuauflage der legendären Partie in Córdoba vier Jahre zuvor also siegen, um weiterzukommen; Österreich durfte mit höchstens zwei Toren Unterschied, ab drei eigenen Treffern mit höchstens drei Toren Unterschied verlieren. Das Führungstor für Deutschland führt zu folgendem Zwischenstand:
Spiele Tore Punkte
1. Deutschland 3 6 : 3 4 : 2
2. Österreich 3 3 : 1 4 : 2
3. Algerien 3 5 : 5 4 : 2
4. Chile 3 3 : 8 0 : 6
Die Folgen für den Spielverlauf:
Bereits kurz nach diesem Tor war zu erkennen, dass beide Mannschaften jedes Risiko, ein Gegentor zu erhalten, vermeiden wollten. Da es 1982 die Rückpassregel noch nicht gab und der Torwart Bälle mit der Hand aufnehmen durfte, die ihm von einem eigenen Feldspieler zugespielt wurden, ergab sich im weiteren folgender Spielverlauf: Die ballbesitzende Mannschaft spielte sich in der eigenen Spielhälfte den Ball so lange zu, bis ein gegnerischer Spieler in die Nähe des ballführenden Spielers kam. Sofort danach wurde der Ball zum eigenen Torwart zurückgepasst. Vereinzelt wurden lange Bälle in die gegnerische Hälfte gespielt, kamen dort aber nicht beim eigenen Mitspieler an, da diese sehr zurückgezogen agierten. Es gab in den folgenden knapp 80 Spielminuten von keiner der beiden Mannschaften mehr ernstzunehmende Torschüsse, und es gab fast keine Zweikämpfe. Der einzige Spieler auf dem Platz, der sich bemühte, nach vorne zu spielen, war der Österreicher Walter Schachner, jedoch ohne Erfolg. Offensichtlich gab es ein stillschweigendes Übereinkommen, das für beide Seiten günstige Ergebnis nicht mehr zu ändern.
Radiostimmen im Zusammenschnitt
Reaktionen:
Der ARD-Kommentator Eberhard Stanjek weigerte sich ab einem gewissen Zeitpunkt, das Spiel weiter zu kommentieren. Auch im österreichischen Fernsehen erkannte Kommentator Robert Seeger den Ernst der Lage und forderte (ein einmaliges Ereignis der österreichischen Sport- und Fernsehgeschichte) die Zuschauer zum Abschalten ihrer Fernsehgeräte auf. Das spanische Publikum (41.000 Besucher) wedelte fast die gesamte zweite Halbzeit mit weißen Tüchern. Dies ist in spanischen Stadien ein üblicher Brauch, um seinen Unmut zum Ausdruck zu bringen. Die Algerier fühlten sich um ihren Einzug in die nächste Runde betrogen und wedelten mit Geldscheinen, was der damalige Abwehrchef Karl-Heinz Förster so kommentierte: „Für die Unmutsbekundungen der algerischen Fans habe ich schon ein bisschen Verständnis, weil es so aussah, als sei es abgesprochen. Das Spiel konnte man Mitte der zweiten Halbzeit nicht mehr ansehen. Das war ja ein Nichtangriffspakt.“ Paul Breitner, damals (in der ersten Halbzeit) für Deutschland auf dem Platz, sagte 2006 in einer ZDF-Sendung, dass das damalige Verhalten nicht verwerflich sei, schließlich würde jede Mannschaft irgendwann einmal beginnen, ein Ergebnis zu „verwalten“. Die deutsche sowie die österreichische Mannschaft hätten damit eben nur früher als normal angefangen.
2007 berichtete die „Bild-Zeitung“, der österreichische Spieler Walter Schachner habe im Interview die Absprache des Spiels Österreich gegen Deutschland bei der WM in Spanien 1982 zugegeben, beide Mannschaften hätten sich in der Halbzeitpause auf das 1:0 für Deutschland als Endergebnis geeinigt. Schachner wird in „BILD“ zitiert: „Die Absprache war zwischen ein paar Topspielern in der Halbzeit gelaufen, und ich hab nichts mitgekriegt.“
Konsequenzen (bedeutsam bis heute für D-Jugend-Spiele 'aufwärts'):
Die unmittelbare Konsequenz aus diesem Spiel war, dass seit der Europameisterschaft 1984 die letzten Spiele einer Gruppe bei jedem internationalen Turnier immer gleichzeitig stattfinden. Eine weitere Änderung erfolgte zehn Jahre später. Da Spielverzögerungen durch häufige Rückpässe zum eigenen Torwart in den Folgejahren immer mehr überhand nahmen, wurde von der FIFA 1992 die sogenannte Rückpassregel eingeführt. Diese besagt, dass Rückpässe von eigenen Mitspielern, die absichtlich mit dem Fuß zum Torwart gespielt und mit der Hand aufgenommen werden, als Vergehen vom Schiedsrichter mit einem indirekten Freistoß zu ahnden sind. Anders als z.B. im Handball hat der Schiedsrichter aber immer noch keine Möglichkeit, gegen „passives Spiel“ vorzugehen, indem er der "passiv" spielenden Mannschaft den Ballbesitz "abnimmt".
Die deutsche Mannschaft quälte sich mehr schlecht als recht durch das Turnier - bot ein überragendes Halbfinale gegen Frankreich, das nach einem 3:3 in der Verlängerung erst im Elfmeterschießen durch einen Treffer von Horst Hrubesch (!) entschieden wurde. Allerdings gab es auch hier einen unrühmlichen Höhepunkt, als Torwart Schumacher den französischen Spieler Battiston umrannte und schwer verletzte. Im Finale unterlag das Team von Jupp Derwall dann Italien mit 1:3.
Quelle: Wikipedia, verändert.